Bayern

Blogbeitrag zur Bayern-Wahl

Blogbeitrag des Landesvorsitzenden Martin Kollien-Glaser
(Die hier geäußerten Aussagen sind Privat-Aussagen und nicht zwingend mit der Parteimeinung deckungsgleich)

Zurecht wurden wir in den letzten Tagen vermehrt gefragt, warum es noch keine Äußerungen zum Wahlergebnis der Bayernwahl gäbe.
Daher versuche ich mich daran, die Gedanken, die mir in den letzten Tagen durch den Kopf gingen und die bereits in der ein oder anderen Runde angesprochen wurden, zu Papier zu bringen.

Sieben Wochen ( 5 und 4 Tage zu dem Zeitpunkt, an dem ich diesen Text beginne) ist der Wahlsonntag nun her, um die 5-6 Wochen, das alle Plakate abgehängt, alle Materialien wieder verräumt sind und so langsam wieder der Alltag einkehren könnte.

Da wir die Arbeit als Vorstand, als Kandidat oder als Wahlkämpfer aber alle nur ehrenamtlich machen, ist der Alltag dann doch so wirklich noch nicht wieder eingekehrt.
Zuviel ist auf der Arbeit, im Privatleben aber auch in der „normalen“ Parteiarbeit liegen geblieben und muss aufgearbeitet werden. Viel zu wenig Zeit blieb bisher um sich von den Strapazen tatsächlich wieder zu erholen. So manch Angeschlagener hängt noch immer in den Seilen.

Das sei als Grund für all diejenigen genannt, die bisher – zurecht ungeduldig – auf Reaktionen gewartet haben.

Zu den Startbedingungen:
Das bayerische Wahlsystem ist eines der härtesten, möchte ich behaupten.
In insgesamt 91 Stimmbezirken mussten Versammlungen durchgeführt und in jeder 2 Kandidaten für die Landtags- und Bezirkstagswahl aufgestellt werden. Bei diesen Versammlungen mussten jeweils mindestens 3 stimmberechtigte Mitglieder anwesend sein.
Das uns dies nicht in allen Stimmbezirken gelungen ist, sondern gerade in etwas mehr als der Hälfte war für das zu erwartende Wahlergebnis bereits ein erster bitterer Fingerzeig. Denn Erst- und Zweitstimmen werden zusammengerechnet und wo kein Direktkandidat, da keine Erststimme, da somit eine Halbierung der möglichen Stimmen.

Die Qual der Sammlung von Unterstützerunterschriften ging dieses Mal glücklicherweise an uns vorüber. Knapp 8500 Unterschriften wären sonst notwendig gewesen, verteilt über alle bayerischen Bezirke. Zum Vergleich, in Nord-Rhein-Westfalen sind hier landesweit nur 1000 Unterschriften notwendig.

Die Aufstellungsversammlungen haben uns bereits die Masse der weißen Flecken aufgezeigt, in denen wir nicht mehr mit ausreichend (aktiven) Mitgliedern vertreten sind. Während der ersten heißen Phase des Wahlkampfs, der Plakatierung war dies noch teilweise durch Hyperaktive ausgleichbar, die Tausende von Kilometern zurück legten um die Plakate an die Stellwände und Laternenmasten zu bekommen.

Bei den Infoständen war dies nicht mehr möglich.

 

Was waren die Zahlen, die Ergebnisse, an denen wir uns messen lassen mussten?

  • 2013, zum Ende des berühmten Piratenhype, nach einer ersten verlorenen Landtagswahl in Niedersachsen erreichten wir PIRATEN Bayern 2,0 % der Gesamtstimmen,
  • 2017 bei einer als Tiefpunkt zu bezeichnenden Bundestagswahl 0,36 % Zweitstimmen in Bayern, bundesweit 0,37 %.

Weitere als für uns als relevant zu betrachtende Grenzen waren

  • 1,0 % um weiter in Bayern Parteienfinanzierung zu erhalten und
  • 1,25 % um auch in 5 Jahren bei der nächsten Landtagswahl keine Unterschriften sammeln zu müssen.

Realisten, oder je nach Betrachtungsweise auch Pessimisten genannt war schon früh klar, das wir nicht um die Wiederholung des alten Wahlergebnisses oder gar die 5 %-Hürde „spielen würden“, sondern eher um jene Grenzwerte rund um die 1 %-Marke.

Klar war den Meisten auch schon länger, das

  • jene 8,9 % bei der Berlinwahl 2011,
  • jene 7,8 % in NordRhein-Westfalen 2012

nie „unsere Stammwähler“ sondern Protestwähler waren, die zu dem Zeitpunkt gerade bei uns die Möglichkeit gesehen hatten den Etablierten eins auszuwischen. Protestwähler, die inzwischen zu anderen Parteien weiter gezogen sind.
Sollte hier jemals von Stammwählern gesprochen werden können, dann waren es jene 1,9 % , die uns bereits vor dem Hype ihre Stimme gegeben haben. Aber auch diese haben sich inzwischen größtenteils von uns abgewendet, weil sie den Streitereien, die dem Hype folgten oder die Öffnung des Programms zu einem Vollprogramm oder, oder, oder nicht mehr mit vollziehen wollten.
Wir haben diese Wähler nicht überzeugt.

Während der heißen Phase des Wahlkampfes zeigte sich erneut die dünne Personaldecke als deutliches Problem. Viele waren doppelt oder mehrfach belastet als (Spitzen-)Kandidaten, als Organisatoren oder Vorstände, Aufgaben waren online wie auch offline zeitgleich zu erledigen und viele der Arbeiten konzentrierten sich immer mehr auf einen kleiner werdenden Kreis derer, die am Ende versucht hatten alles zu machen und daran gescheitert sind.

Online konnten wir mit unserem Wahlkampfauftritt Neustart.bayern und gut vorbereiteten Konfigurationstools wie einem Meme-Konfigurator gut vorlegen und auch einen besseren Auftritt als 2017 hinlegen, aber bereits bei dem üblichen „Trolle, die hinterm Ofen hervorkriechen“ zeigte sich wieder die Personalschwäche.

Mit insgesamt um die 100.000 € ausgegebenen Wahlkampfmitteln, zusammengetragen von allen bayerischen Gliederungen konnten wir nicht nur den üblichen Plakatwahlkampf und spezielles Infostandmaterial begleichen, sondern auch unseren Online-Wahlkampf finanzieren und durch geschaltete Werbung Reichweite erweitern.

Aber, die noch immer vorhandenen Reserven, die wir hätten anfassen können, aber nicht mehr bespielen konnten zeigen auch hier die Grenzen des machbar Gewesenen.

Der Wahlkampf landesweit stellte sich als klassischer Lager-Wahlkampf dar, die Stimmung war, wenn auch eher zögerlich auf Wechsel gesetzt, auch wenn eine Koalition aus Grüne, SPD, Freie Wähler, FDP und möglicherweise LINKE eher unwahrscheinlich klang, so war doch diese Mehrheit zeitweise möglich, eine Mehrheit gegen CSU und AfD.
Auch dadurch war absehbar, das der Wähler seine Stimme eher in eines dieser „Lager“ geben würde als „Kleinparteien“ zu wählen.

Der Wahlabend selbst, ich verbrachte ihn mit 20 – 30 Piraten in unserer Landesgeschäftsstelle verlangte uns dann die befürchtete und realistisch betrachtet auch erwartete lange Geduld ab, erste Wahlergebnisse waren meist aus den heimischen Gemeinden und Wahllokalen zu erfahren, in Hochrechnungen kamen wir erwartungsgemäß nicht vor.

Schnell zeigte sich, das die genannten Zahlen in etwa auf das vorjährige Wahlergebnis der Bundestagswahl hinauslaufen würden, erst die ersten Analysen an den Folgetagen zeigten dann einen gewissen Trend.

Als Vergleichsgröße haben wir uns auf die Zweitstimmen konzentriert, die im bayerischen Wahlergebnis zwar nicht direkt angegeben werden, aber mit „leichter Mathematik“ zu erfahren waren.
In den detaillierten Wahlergebnissen werden zum einen die Erststimmen und dann die Gesamtstimmen (Erst- & Zweitstimmen) angegeben, jene Differenz dann eben jene Zahl, die uns als Vergleich „interessierte“.

 

 

0,53 % der Zweitstimmen

– sicherlich kein Ergebnis, das einen in Jubel ausbrechen lässt.

– wenig auch die Tatsachen, das „direkte Konkurrenten“ wie DIE PARTEI oder MUT auch hinter deren Erwartungen (und unseren Befürchtungen) zurück geblieben sind, was auf den bereits erwähnten Lager-Wahlkampf schließen lässt.

Und doch lassen sich die 0,53 % bei genauerer Betrachtung mit 35.245 Zweitstimmen im Vergleich zu 26.866 bei der Bundestagswahl, also einem Zweitstimmengewinn von 8379 Stimmen oder 31,2 % (bei einer um 5,8 % niedrigeren Wahlbeteiligung) als ein kleines, zartes Pflänzchen des Zuwachs betrachten.

Sollten jene 0,53 % Zweitstimmen bei der €uropawahl im Mai 2019 bundesweit wiederholbar sein, dann wäre zumindest hier die letzte, mögliche Parteienfinanzierung gesichert.

Ein Vergleich mit der 2 Wochen später stattfindenden Landtagswahl in Hessen, die mit einem besseren Bundestagswahlergebnis als Vergleich gestartet ist, dazu aber Zweitstimmen um die 17 %  verloren hat, lassen sich sogar Spekulationen über die Gründe des Zuwachses führen.

 

  • Plakatmäßig haben wir uns auf klare, deutlich lesbare und deutlich als PIRATEN erkennbare Farben in orange und violetter Schrift konzentriert,
  • der Claim „Neustart.Bayern“ und die Slogans z. B. „mit Sicherheit für Freiheit“ ernst aber doch mit einer gewissen Ironie oder Doppeldeutigkeit (für wen der Neustart? Für Bayern? Oder die Piraten in Bayern?) ,
  • das Programm mit klarer piratiger Handschrift, aber eben als Wahlprogramm für die nächsten 5 Jahre quasi und nicht als Utopia formuliert, mit einem gewissen Konservativismus, der Bayern ja immer nachgesagt wird, aber trotzdem haben wir uns erlaubt mit Begriffen wie
    • Heimat“ – piratig definiert und nicht den rechten und ihrer Deutungshoheit überlassend
    • Sicherheit & Freiheit“ – piratig (aber trotzdem doppeldeutig) im Sinne „wir sind mit Sicherheit für FREIHEIT“
    • Digitalisierung“ – 100 MBit für ALLE (ja, nicht wie es richtig heißt Mbit‘s oder Mbit/s oder so, aber bewußt so „falsch geschrieben“ wie es gesprochen wird)
    • Bildung“ mit dem in Bayern immer noch nicht umgesetzten, aber doch so wichtigen Instrument des Bildungsurlaub zur Erwachsenen-Weiterbildung.

Als ernsthafte Politik mit sachlichen Vorschlägen wurde der bayerische Wahlkampf geführt und nicht #süss und mit Katzen- und anderen Tierbildchen …

 

Das Programm und die genannten Überschriften bzw. Slogans „durften“ wir, nachdem wir vor 4 Jahren das komplette 2013er Wahlprogramm eingestampft hatten seit Anfang 2018 komplett neu erstellen, mit stundenlangen wöchentlichen Terminen und Programm-Klausuren ist uns dies in einer Kürze und nicht der epischen Breite von 2013 gelungen, mit Blick auf kurze, klar formulierte Punkte ohne Geschwafel und auch (fast) ohne Themen, die nicht zur Landespolitik gehören.

 

Und trotzdem haben wir es nicht überall geschafft, die Wahrnehmungsgrenze zu überschreiten, „gibt es euch auch noch?“ war eine viel gehörte Frage, die dann auch deutlich zeigte, das „die mit dem komischen Parteinamen“ in der Öffentlichkeit kaum noch wahr geschweige denn ernst genommen wurden.
Hier ist ein steiniger Weg des Neuaufbaus notwendig, der in der Zeit nach der €uropawahl, die jetzt vor uns liegt und noch einmal alles uns Mögliche und noch ein Bischen mehr von uns abverlangt vor allem erst einmal Parteiintern zu führen ist.

Der nächste Landesparteitag ist mit Vorstandswahlen Anfang 2019 geplant. Zeitig genug um im Anschluss die €uropawahlvorbereitung abzuschließen, aber auch um bereits erste Ideen zu formulieren, wie es mit der Partei weiter gehen könnte.

Direkt nach der Wahl wurden Stimmen laut, „Null ist Null“, die den Rücktritt des Landesvorstands forderten.
Des Landesvorstands, der in der Tat beginnend mit der 2017er-Wahl im Vergleich zu davor liegenden Wahlen immer mehr sich in die Wahlkampfvorbereitung und -koordination eingebracht hat und darauf hingearbeitet hat, das die weniger werdenden Kräfte sich auf dieser Ebene bündeln und nicht, wie in 2013 die Bezirke und Kreise ihren eigenen Vorbereitungen oder Nicht-Vorbereitungen zu überlassen.
Eine Erfahrung, die wir jetzigen Vorstände als „Basis-Wahlkämpfer“ damals als wenig hilfreich erachtet hatten.
Daher ist der Landesvorstand in der Tat mit für dieses Wahlergebnis verantwortlich. Die Möglichkeit der entsprechenden „Abstrafungen“ wollen wir aber der Parteibasis auf dem Parteitag überlassen, soweit die einzelnen Landesvorstandsmitglieder weiter bereit sind für dieses Amt zu kandidieren.

Von daher nehmen wir diese Stimmen wahr und durchaus auch ernst, auch wenn sie häufig von jenen kommen, die sich so gar nicht konstruktiv in den Wahlkampf eingebracht haben.

Und, in der Tat gab es auch einige Dinge, die wir anders, eventuell unpiratiger gemacht haben, als es in vergangenen Wahlkämpfen geschehen ist.
Die Entscheidungen wurden bewusst nicht per Mitglieder-Basis-Befragung getroffen, sondern denen überlassen, die der „Einladung an Alle zum Mitarbeiten“ gefolgt sind und ihre Zeit und Arbeit eingebracht haben.
Es wurde bewusst auf Umfragen mit pseudo-verbindlichem Charakter verzichtet, die gerade jetzt wieder zur €uropawahl hohe Erwartungen formulieren, bei der Frage nach der eigenen Beteiligung ein „ich bringe mich anders ein“ ergaben, was wohl häufig heißen wird „ich mache nix“

Insoweit hat sich der Vorstand und allem voran ich als dessen Vorsitzender „schuldig gemacht“.
Es konnte mir allerdings auch niemand andere, alternative oder gar bessere Wege aufzeigen, die mich überzeugt hätten.

Aktuell versucht sich ein leider auch immer kleiner werdender Kreis an im Wahlkampf aktiven Piraten an der Aufarbeitung der Wahl, um frische Eindrücke für nächste Wahlen zu dokumentieren, Erfahrungen auszuwerten und mögliche Rückschlüsse darauf zu finden, warum an der ein oder anderen Stelle bessere Ergebnisse erreicht wurden, um dies bereits für die €uropawahl zu „vervielfältigen“.

Nach dieser dann 2 ½ Jahre langen Wahlkampfphase müssen wir sehen, wie wir wieder mehr Mitglieder motivieren können, sich aktiv in die Arbeit einzubringen, wie wir diese überzeugen können, das es noch einmal Sinn macht, sich einzubringen und das Piratenschiff auf seinem immer noch etwas schlingernden Kurs nicht zu verlassen.

Motivation und Engagement, das uns mit Sicherheit bei diesen Wahlkämpfen bereits deutlich geholfen hätte, die wir aber nicht in der Lage waren bei vielen Mitgliedern zu wecken.
Mit Sicherheit müssen dafür aber auch Zeichen gesetzt werden, die jenseits von „weiter so“ liegen.




Hinweis: Diese Meldung ist eine Kopie vom Landesverband Piratenpartei Bayern.
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