Bayern

Kommunalpolitiker und die Angst vor dem Livestream

Wir PIRATEN setzen uns schon lange für mehr Transparenz, auch auf kommunaler Ebene, ein und fordern deshalb die Live-Übertragung von Ratssitzungen. Mit dieser Forderung stehen wir inzwischen auch längst nicht mehr alleine da, dennoch halten es einige gewählte Volksvertreter nicht für nötig, ihren Bürgerinnen und Bürgern auch die Möglichkeit der politischen Teilhabe einzuräumen.

Ingolstadt – Audiostream abgeschaltet, Videostream abgelehnt, private Aufnahmen verboten

So geschah es vor einigen Tagen in Ingolstadt, dass zwei Blogger von Kurator ( http://kurator.in ) aus dem Sitzungssaal geworfen wurden. Doch fangen wir weiter vorne an:

Eigentlich schien Ingolstadt bereits auf dem richtigen Weg zu sein, es gab hier immerhin bereits einen Audio-Livestream. Leider wurde dieser aber wieder abgeschaltet. Auslöser dafür war eine versehentlich öffentlich übertragene Äußerung des zweiten Bürgermeisters Albert Wittmann (CSU), die da lautete „Mei, is des ein Deppenhaufen“. Daraufhin haben sich dann mehrere Stadtratsmitglieder schriftlich gegen die Live-Übertragung ausgesprochen. Offensichtlich hat ein Großteil der Ratsmitglieder Bedenken, dass das Benehmen einzelner Stadträte dem öffentlichen Ansehen der Stadt schaden könnte.

Dieser Rückschritt blieb jedoch nicht ohne Gegenwehr und so wurde ein Antrag gestellt, wenigstens wieder einen Audio- oder noch besser einen Videostream einzuführen, der die Sitzungen des Stadtrates live ins Internet überträgt.

Als dann der Tag gekommen war, an dem dieses Thema den Weg auf die Tagesordnung fand, begaben sich eben auch die beiden genannten Aktivisten in den Zuschauerraum des Sitzungssaals. Ausgestattet mit Smartphone und Laptop wollten sie die Aussprache und Abstimmung zu diesem Punkt selbst übertragen, was anfänglich auch wunderbar klappte

( https://www.facebook.com/kurator.in/videos/1726032127483585/ ). Als die beiden dann aber beim Streaming entdeckt wurden, kurz bevor es zur Abstimmung kam, hat man sie kurzerhand dem Saal verwiesen. Man (Wer?) wollte zwischendurch sogar die Polizei rufen, worauf letztlich dann aber doch verzichtet wurde. Ob nun Anzeige gegen die Streamer erstattet wird, bleibt abzuwarten.

Die Verwaltung hat nun vor, entsprechende Verbotsschilder im Zuschauerbereich anzubringen, damit für jeden offensichtlich erkennbar ist, dass es nicht gestattet ist private Ton- und Bildaufnahmen anzufertigen. Dies sei einzig den Vertretern der Presse auf deren reservierten Plätzen gestattet.

Als Begründung beharrt man auf Datenschutz und den Persönlichkeitsrechten der Stadträte.

Christian Doppler, Kreissprecher der Piratenpartei in Ingolstadt sagt zur aktuellen Situation:

„Wir Bürger haben ein Recht, die Entscheidungen im Stadtrat ungefiltert zu erfahren. Wir leben in Zeiten von Videostreams und ständiger Kommunikation. Dass es keine Bereitschaft von so vielen Stadträten gibt, uns Bürger bei den Sitzungen dabei haben zu wollen, ist ein Skandal!“

Haar – Angst vor Imageverlust durch schlechtes Benehmen

Doch die Ingolstädter Bürgerinnern und Bürger stehen nicht alleine da mit der Ausgrenzung aus den kommunal-politischen Debatten. Auch in Haar wurde kürzlich ein Antrag zu einem Video-Livestream von der Mehrheit des Stadtrats abgelehnt. Unter anderem führt man hier als Begründung auf, dass man darauf achten müsse, die Persönlichkeitsrechte der Zuschauer nicht zu gefährden. Außerdem glaubt man hier, dass die Neuerungen im Bezug auf die Ende Mai in Kraft tretende DSGVO weitere Probleme mit sich bringt.

Außerdem hat man tatsächlich auch hier Bedenken, dass sich die Stadträte in den Sitzungen nicht so benehmen, dass man die Debatten bedenkenlos streamen bzw. aufzeichnen und der Öffentlichkeit zugänglich machen könnte. Darüber hinaus wird argumentiert, dass man ja schließlich in die Sitzungen kommen könne, wenn man sich dafür interessiert. Dass es aber nun mal viele Gründe gibt, warum man nicht persönlich in eine Sitzung kommen kann, scheint bei einigen Stadträten auf taube Ohren zu stoßen.

Fürstenfeldbruck – Datenschutzbedenken und Angst vor zu hohen Kosten

In Fürstenfeldbruck stellt sich die Situation ähnlich dar: Ein Videostream wurde mehrheitlich abgelehnt. Man will nun prüfen, ob ein Audiostream mit einzelnen Standbildern technisch und finanziell möglich wäre.

Obwohl auch hier die Nachfrage an politischer Teilhabe und Barrierefreiheit groß zu sein scheint, gibt ein großer Teil der Stadträte an, dass sie einer Übertragung aus Datenschutzgründen nicht zustimmen würden. Außerdem ist man in Fürstenfeldbruck der Meinung, dass die Kosten nicht gerechtfertigt sind, weil man mit keinem großen Interesse rechne.

Es geht aber auch anders

Es gäbe noch viele weitere Orte, die noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen sind, doch gibt es zum Glück auch einige positive Beispiele, die beweisen, dass es sehr wohl möglich ist und es sich nicht um eine reine Zukunftsvision oder gar Utopie handelt.

Unter anderem werden die Ratssitzungen von München, Pfaffenhofen, Bayreuth und Passau regelmäßig live ins Internet übertragen. Und auch außerhalb von Bayern gibt es natürlich schon viele Stadträte, die ihren Einwohnern den Blick in ihre Sitzungen nicht verwehren. So kann man beispielsweise die Ratssitzungen aus Leverkusen live im Internet per Videostream verfolgen oder als Aufzeichnung später ansehen.

Offensichtlich geht es in diesen Sitzungen gesitteter zu, so dass man hier keine Bedenken haben muss, die gewählten kommunalen Vertretern per Live-Übertragung oder Aufzeichnung der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Kein bayerisches Problem

Dennoch ist es ein überregionales Problem. Blickt man nach Leichlingen in Nordrhein-Westfalen findet man auch dort keine öffentlichen Übertragungen. Aus Datenschutz- und Kostengründen, gibt man als Begründung an. Immerhin prüft man auch hier aktuell ob wenigstens einen Audiostream denkbar und finanzierbar wäre.

Und auch in anderen Ländern gibt es noch Gegner, die sich der transparenten Kommunalpolitik verweigern. Blickt man beispielsweise nach Österreich, findet man auch hier zahlreiche Gemeinderäte, die sich gegen einen Livestream wehren. Als Gründe gibt man die selben an wie hier in Deutschland.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass es auch im Programm der Piratenpatei Österreich dazu einen entsprechenden Abschnitt gibt:

„Für eine echte Bürgerbeteiligung brauchen die Bürger Informationen. Die Piratenpartei Österreichs fordert die Live-Übertragung von Audio- und Video-Streams aus den Nationalrats-, Landtags- und Gemeinderatssitzungen und Ausschüssen über das Internet. Diese Aufzeichnungen sollen für alle Bürger kostenlos und unmittelbar nach der jeweiligen Sitzung in einem öffentlichen Archiv abgespeichert werden und jederzeit online aufrufbar sein. […]“
(https://wiki.piratenpartei.at/wiki/Parteiprogramm#Live-.C3.9Cbertragung_von_Audio-_und_Video-Streams )

Mehr Teilhabe und Transparenz

Wir PIRATEN setzen uns für mehr politischer Teilhabe, auch auf kommunaler Ebene ein. Nur mit transparenter Kommunalpolitik ist eine Stärkung der Bürgerbeteiligung möglich. Dafür kämpfen wir jeher und werden es weiterhin tun. Dazu gehört selbstverständlich auch der barrierefreie Zugang sowohl zu den Ratssälen, als auch zu den dazugehörigen Internet-Angeboten wie Livestream und archivierte Aufzeichnungen.

Wir sind der Meinung, dass nur durch ein modernes Angebot auch das (kommunal-)politische Interesse geweckt und der Politikverdrossenheit entgegen gewirkt werden kann.

Im Wahlprogramm zur vergangenen Landtagswahl in Bayern im Jahr 2013 forderten wir PIRATEN bereits mehr Transparenz und die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen für eine Verpflichtung der Kommunen zur Live-Übertragungen ( https://piratenpartei-bayern.de/wahlprogramm2013/transparenz-und-open-data/ ). Außerdem sollten nicht-öffentliche Sitzungen ausschließlich in wenigen Ausnahmefällen (z.B. wenn persönliche Daten Einzelner betroffen sind) erlaubt sein. So soll ein höchstmögliches Maß an Transparenz erreicht werden, ohne den Datenschutz oder die Persönlichkeitsrechte eines Einzelnen zu verletzen. Und sicher findet das Thema auch im Wahlprogramm für die Landtagswahl im Oktober dieses Jahr wieder seinen Platz.

Author
Josef Reichardt – Ich lebe in Niederbayern und bin Pirat. Neben digitalen, liberalen und sozialen Themen engagiere ich mich für Nachhaltigkeit und Umwelt.




Hinweis: Diese Meldung ist eine Kopie vom Landesverband Piratenpartei Bayern.
Originalquelle aufrufen: Kommunalpolitiker und die Angst vor dem Livestream

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